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Bauteiltypologie: Butzenscheibe

Butzenscheibe

 

1. Definition

Eine Butzenscheibe ist eine kleine, runde Glasscheibe mit einem Durchmesser von bis zu 15 cm. Sie wird im Mundblasverfahren hergestellt und hat in der Mitte eine herstellungsbedingte Verdickung, die Butze, wovon sich der Name ableitet. Die Butzenscheibe ist auch bekannt als Ochsenauge oder Nabelscheibe.1 Ab dem 14.Jahrhundert ist sie, in Blei gefasst als Fensterscheibe zusammengefügt, weit verbreitet. Daher werden auch heute noch die rechteckigen Gläser als „Scheiben“ bezeichnet.2


2. Geschichte

2.1. Geschichte Glas

Das älteste Herstellungsverfahren von Flachglas ist das gegossene Glas. Die Römer entwickelten im 1. Jh. n.Chr. Möglichkeiten, das glutflüssige Glas in Rahmenformen aus nassem Holz oder Stein zu gießen. Um ein Anheften zu verhindern, waren die Formen mit Sand ausgestreut, wodurch eine glatte und eine aufgeraute, milchige Seite entstanden.3 In den Rahmen wurde die rasch erkaltende Masse ausgestrichen und gezogen, so dass sich eine möglichst gleichmäßige Fläche ergab.
An der mit der Zeit zunehmenden Größe der Fenster erkennt man den technischen Fortschritt der Römer, die Thermen und Basiliken gelten als der Höhepunkt der Spätantike, es entstand eine „Durchfensterung“ der Fassaden. Als Beispiel sei die im 3. Jh. gebaute Caracalla-Therme genannt. Von ihr sind Berechnungen erhalten, nach denen die Thermen ein Fensteranteil von 3400m² aufweist. Die einzelnen Scheiben hatten eine Dicke von ca. 6mm.4
Die größten gegossenen Scheiben der Römer fand man in den Thermen in Pompeij, diese waren in Bronzerahmen gefasst. Die Informationen über ihre Größe gehen von 70x100 cm Größe und 13mm Stärke5 über 170 x 120 cm6 bis zu 2 x 2 m.7

Im Mittelalter taucht das gegossene Flachglas nur noch sehr selten auf. Es verbreitet sich die Herstellung von Flachglas mit der Glasmacherpfeife, darunter fallen das Zylinderverfahren und die Butzenscheiben. Auch die Herstellung im Zylinderverfahren stammt von den Römern und ist ab dem 3. Jh. nachweisbar.8
Die Herstellung von Glas war dort angesiedelt, wo es Quarzsand und ein großes Holzvorkommen gab. Holz war wichtig für die Gewinnung von Pottasche und als Brennmaterial für die Schmelzöfen.
Die Schmelzöfen mussten etwa 1100° erreichen.9
Im 11./12. Jh. wurden die Glashütten immer populärer. Als Trinkgefäße war Glas schon lange weit verbreitet, aber mittlerweile konnte buntes Glas produziert werden, wodurch es als Flachglas für Kirchenfenster der Romanik immer mehr an Bedeutung gewann.10


2.2. Aufkommen Butzenscheiben

Die Flachglasherstellung im Zylinderverfahren war sehr kompliziert und verlangte ein großes Können der Glasbläser, wodurch Glasfenster lange Zeit sehr teuer waren. So wurde Kirchenfenster, wie auch Altäre oder Dekorationen, meist von Adelsfamilien gestiftet.
Eine andere Art des Flachglases, die Butzenscheiben, fand meist Anwendung in Profanbauten wie privaten Adelssitzen und Bürgerhäusern. Auch die Herstellung der Butzenscheiben ging von einem mundgeblasenen Hohlglas aus, eine Kugel wurde entweder flachgedrückt oder aufgeschnitten und durch schnelles Drehen flachgeschleudert.
Diese runden Scheiben wurden dann mit Bleistegen zu ganzen Fenstern zusammengefügt.
Durch den wachsenden Wohlstand der Zünfte im Spätmittelalter gab es auch in Zunfthäusern zunehmend Glasfenster, besonders in der Schweiz, im Elsass und in Süddeutschland.11
Wann und wo das Herstellungsverfahren der Butzenscheiben entwickelt wurde, ist unbekannt, allerdings soll es Glasscheiben aus dem 11. Jh. geben, die die typischen ringförmigen Unebenheiten aufweisen.

 

3. Herstellung

Zur Herstellung der Butzenscheiben mit der Glasmacherpfeife wird eine Kugel geblasen, diese wird dann an ein Hefteisen angeschmolzen (1). Anschließend wird die Pfeife abgebrochen und von dem Hefteisen aus weitergearbeitet. Durch das Abnehmen der Pfeife ist eine Öffnung entstanden, diese kann, je nach nach Glasbläser, mit einem so genannten Auftreibeisen geweitet werden. Nachdem das Glas erneut erhitzt wurde, wird es durch schnelles Drehen zu einer flachen Scheibe geschleudert (2). Der hohle, dickere Rand, der typisch für die Butzenscheiben ist, entsteht dadurch, dass während des Rotierens ein sehr dünner Rand entsteht, der nach innen kippt. Als letzter Arbeitsschritt wird die Scheibe vom Hefteisen abgesprengt und die Butze, oder der Nabel, bleibt stehen (3).12
Jede Butzenscheibe ist ein Einzelstück mit entsprechenden Schwankungen in Farbe und Struktur. Bis zum 17. Jh. waren meist Butzenscheiben in den Größen von 10-15 cm üblich, die mit Bleistegen zu Fensterscheiben zusammengesetzt wurden.

Skizze zur Herstellung der Butzenscheibe


Bild [1]: Skizze zur Herstellung der Butzenscheibe [+]

 

Wahrscheinlich noch vor den Butzenscheiben entstand ein anderes Verfahren, mit dem auch durchsichtige Flachgläser möglich waren, das Zylinderverfahren. Hierbei wurde ein mundgeblasener Zylinder aufgeschnitten und abgerollt. Anschließend wurde das Glas mit der Zange noch gestreckt und geglättet.
Diese Verfahren benötigte eine große Erfahrung und zeigt, wie gut die mittelalterlichen Glasmacher ihr Handwerk beherrschten.13
Man erkennt dieses Glas an ovalen Luftblasen, die parallel zur Streckrichtung des Glases erscheinen, sowie durch runde, dickere Ränder, die durch das Glätten entstehen.

 

4. Regionale Vorkommen

Glasproduktion im Taunus, ist erstmals um 1200 nachgewiesen, allerdings waren diese Ein-Ofen-Anlagen nur zum Schmelzen des Glases gebaut. Zur Weiterverarbeitung wurde es wahrscheinlich in nahegelegene Klöster oder Städten transportiert.14
Ab 1450 entstanden mehrere Waldglashütten im Hochtaunus, die Bezeichnung „Waldglashütte“ ergibt sich aus den Standorten, da die Glasproduktion eine große Menge Holz benötigte, wurden die Hütten immer in waldreichen Gebieten gebaut.15 Im Gebiet der Taunushütten wurde sowohl Flachglas als auch Hohlglas (Becher, Schalen) produziert.16

 

Butzenscheiben in der historischen Altstadt von Rüdesheim

Bild [2]: Butzenscheiben in der historischen Altstadt von Rüdesheim [+]

 

Man findet man in nahezu jeder Hütte Überreste von Butzenscheiben. Allerdings ist nicht erwiesen, dass in all diesen Hütten auch die Produktion stattfand, denn auch schon damals war Altglas ein wertvoller Rohstoff und wurde wieder eingeschmolzen. In den Glashütten in Hobholz und am Kalbshecker Bach wurden aber mit Sicherheit Butzenscheiben auch produziert. In diesen Hütten nahm die Flachglas-herstellung etwa die Hälfte des Produktionsumfanges ein.17

 

Fundstücke aus der Butzenscheibenproduktion am Standort Hobholz aus der Zeit um 1618

Bild [3]: Fundstücke aus der Butzenscheibenproduktion am Standort Hobholz aus der Zeit um 1618 [+]


 

Literatur- und Quellenverzeichnis

Koch, Wilfried (2013): Baustilkunde. Das Standardwerk zur europäischen Baukunst von der Antike bis zur Gegenwart. 31. Aufl. Gütersloh u.a: Wissen Media-Verl.

materialarchiv.ch (Hg.): Butzenscheibe. Online verfügbar unter materialarchiv.ch/detail/1354, zuletzt geprüft am 26.10.15.

Merten, Heinz (1952): Butzenscheibe. In: Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte. Bd. 3, S. 292–298. Online verfügbar unter: http://www.rdklabor.de/w/?oldid=89311, zuletzt geprüft am 22.12.15

Paturi, Felix R. (1986): Die Geschichte vom Glas. Aarau (u.a): AT-Verlag

Popplow, Marcus (2010): Technik im Mittelalter. München: Beck (Beck’sche Reihe; Bd. 2482)

Stark, Jochen; Wicht, Bernd (1998): Geschichte der Baustoffe. Wiesbaden u.a: Bauverl.

Steppuhn, Peter; Berg, Ingrid (2006): Waldglashütten im Taunus. Geschichte - Archäologie - Produkte. Neu-Anspach: Freilichtmuseum Hessenpark (Schriftenreihe des Hessischen Freilichtmuseums 13)

Weeber, Karl-Wilhelm (2010): Rom sei Dank! Warum wir alle Caesars Erben sind. Frankfurt am Main: Eichborn.


Anmerkungen und Abbildungsverzeichnis

1 Stark 1998, S. 135
2 Koch 2013, S. 435
3 Paturi 1986, S. 91
4 Weeber 2010, S. 146
5 Paturi 1986, S. 90
6 Weeber 2010, S. 146
7 Stark 1998 , S. 135
8 Steppuhn und Berg 2006, S. 87-88
9 Popplow 2010, S. 69–70
10 Popplow 2010, S. 69–70
11 Popplow 2010, S. 69–70
12 Steppuhn und Berg 2006, S. 89
13 Paturi 1986, S. 91–92
14 Steppuhn und Berg 2006, S. 16
15 Popplow 2010, S. 69–70
16 Steppuhn und Berg 2006, S. 16
17 Steppuhn und Berg 2006, S. 88

Bild [1]: Zeichnung: Jenny Braun in Anlehnung an Lang, Walter, 2001, Spätmittelalterliche Glasproduktion im Nassachtal. S. 142
Bild [2]: Foto: Jenny Braun 2015
Bild [3]: Steppuhn und Berg 2006, S. 91 mit freundlicher Genehmigung von Peter Steppuhn

 

Zitiervorschlag:
Braun
, Jenny (2015): „Butzenscheibe“, in: urbs-mediaevalis.de/Studienportal/Bauteiltypologie, URL: http://www.urbs-mediaevalis.de/pages/studienportal/bauteiltypologie/bauteile-b/butzenscheibe.php

Autorengruppe: Studentinnen und Studentenletzte Aktualisierung dieser Seite: 23. November 2017
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