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Friedhöfe in Städten und Ortschaften

Friedhöfe

 

1. Die Entwicklung des Friedhofes im Laufe des Mittelalters
 
Friedhöfe, früher auch Gottesacker genannt, sind eingefriedete Orte, an denen die Verstorbenen bestattet werden. Im 5. Jahrhundert lagen die Friedhöfe meist außerhalb der Siedlung. Durch den sich immer stärker festigenden christlichen Glauben und den damit verbundenen Bau von Kirchen wurde damit begonnen, die Friedhöfe in der unmittelbaren Umgebung von  Kirchen anzulegen; diese befanden sich innerhalb der Siedlung oder der Stadt.1 Als man im Frühmittelalter begann, neue Dörfer und Städte zu gründen, wählte man einen besonderen Platz für die Pfarrkirche und den daran angeschlossenen Friedhof aus.2 In Städten hatten Pfarreien, Klöster und Spitäler in der Regel einen eigenen Friedhof.3 Der Aufbau und die Lage der Friedhöfe änderten sich im Laufe des Mittelalters nicht. Ausnahmen waren Friedhöfe, welche auf Grund von Seuchen und Epidemien angelegt wurden, diese befanden sich meist aus hygienischen Gründen und Platzmangel außerhalb der Stadt oder des Dorfes.4

Friedhöfe mussten durch einen Bischof geweiht werden.Wurden Verstorbene an einem Ort bestattet, an dem es keinen christlichen Friedhof gab, so wurde das einzelne Grab gesegnet.6 Durch die Segnung jedes einzelnen Grabes konnte ein gewachsener Friedhof einer Landpfarrei im Laufe der Jahrhunderte zu einer heiligen Stätte werden.7 Eine weitere Möglichkeit, den Friedhof zu einer geheiligten Stätte zu erheben war, wenn ein Heiliger darauf bestattet wurde; dies war aber vermutlich selten der Fall. Das "Pontificale" aus dem 10. Jahrhundert schildert Gebete, die der Bischof bei der Weihe eines Friedhofes zu sprechen hatte. Zunächst wurden die sieben Bußpsalmen gesungen, dann stellte man vier brennende Kerzen so auf Leuchter, dass sie die Enden eines den Friedhof überspannenden Kreuzes zu bilden schienen. Daraufhin besprengte der Bischof den Friedhof mit Weihwasser und sprach das Glaubensbekenntnis. Durch diese Zeremonie erhielt der Friedhof seinen geweihten Boden.8
 

2. Lage und Aufbau des  Friedhofes

Der Friedhof sollte nahe bei der Pfarrkirche liegen, er wurde deshalb auch Kirchhof genannt. Die Menschen wollten auch im Tod nahe bei den Heiligen bestattet sein, die innerhalb der Kirche begraben waren oder deren Reliquien in den Altären aufbewahrt wurden.9 Sogar im Leben wollten sie den Heilligen nahe sein, weshalb sie oft in der unmittelbaren Umgebung der Kirchen bauten und wohnten. So bildeten Kirchen oft das Zentrum einer Gemeinde. Die räumliche Nähe von Siedlung und Friedhof begünstigte zudem noch die Sorge für die Toten und für das Grab.10 Die Friedhöfe wurden meist mit einer Mauer oder in Anfangsstadien mit Zäunen umfasst, so dass streunende Tiere die Leichen, welche teilweise nur unzureichend mit Erde bedeckt waren, nicht aus den Gräbern zerren, fressen und die Gebeine verstreuen konnten. Für Zaun und Mauer galten aus diesem Grund Mindesthöhen, welche die Tiere daran hindern sollten, auf den Gottesacker zu gelangen. Abbildungen zeigen am Friedhofeingang sogenannte Beinbrecher, eiserne Roste, die zudem Huftiere fernhielten.11 Teilweise wurden die Umfassungsmauern mit Eck-und Tortürmen verstärkt, so bildete der Friedhof den wehrhaften Kern des Dorfes. Um sich in unruhigen Zeiten dahin zurückziehen zu können, trafen die Menschen schon im Frieden Vorkehrungen, um ihr Überleben im Falle einer Notsituation zu sichern. Deshalb legte man an der Innenseite der Mauern Räume, oft auch kleine Häuser. an, in denen Bauern wertvolle Habe und Vorräte lagerten. Hier entstanden oftmals  Einrichtungen der Gemeinde, wie zum Beispiel Brauhäuser und  Backhäuser.12

 Abbildung 1: Friedhofsmauer des alten Friedhofes von Kiedrich 1870 neu errichtet

Abbildung 1: Friedhofsmauer des alten Friedhofes von Kiedrich 1870 neu errichtet [+]


Kirchhöfe konnten nicht uneingeschränkt erweitert werden, da sie innerhalb der Städte oder Ortschaften lagen. Deshalb verwendete man viele Gräber nach einer relativ kurzen Liegezeit im Grab (1-2 Generationen, manchmal auch nur eine Generation) wieder. Daher errichtete man vielerorts Beinhäuser, welche die Knochen aus den Gräbern aufnahmen und somit die Gräber wieder frei für neue Bestattungen machten. Das Beinhaus befand sich in der Regel an der Kirchmauer.13 Ein gutes Beispiel hierfür ist der in Paris gelegene Cimétiere des Innocents (Friedhof der Unschuldigen), welcher bis zum Ende des 18. Jahrhunderts schätzungsweise sieben Millionen Leichen aufnahm. Ein Großteil der Gebeine wurde in die nahegelegenen Katakomben des Mont Rouge verbracht.14

Kirchhöfe hatten meist noch eine eigene, in besondere Weise dem Totenkult gewidmete Kapelle. Sie war oftmals dem hl.Michael gewidmet, nicht selten auch dem hl.Nikolaus. Man glaubte, Michael würde die Seele der Verstorbenen nach deren Tod sicher ins Paradies begleiten. Zudem sollte er die Seele unterwegs vor der Nachstellung böser Geister beschützen und ihr helfen am Tag des Jüngsten Gerichtes.15

 Michaelskapelle im Kirchhof von Kiedrich

Abbildung 2: Michaelskapelle im Kirchhof von Kiedrich [+]


Die Verteilung der Gräber war ähnlich angelegt wie die Gemeinschaft der Lebenden. Für jeden sozialen Stand gab es eigene Bereiche. So wurden Geistliche mit einem hohen Status abgetrennt von den Priestern bestattet. Getrennt waren auch Reiche und Arme, Erwachsene und Kinder, Ledige und Verheiratete. Im Allgemeinen wurden Verheiratete gemeinsam bestattet, denn die eheliche Gemeinschaft galt über den Tod hinaus.16 Föten und Neugeborene wurden häufig entlang der Kirchenmauer oder direkt am Chor beigesetzt. Dahinter stand die Vorstellung, dass sie durch das vom Kirchendach herabrinnende Regenwasser im Nachhinein eine Taufe erhielten. Diese war nach dem  christlichen Glauben die Voraussetzung für die Wiederauferstehung am Tag des Jüngsten Gerichts und somit von großer Bedeutung. Im direkten Umfeld der Kirche waren die Friedhöfe am dichtesten belegt. Die Menschen suchten im Tod die Nähe zu den darin befindlichen Altären und Reliquien der Heiligen. Die Nähe zu den Heiligen sollte ihnen deren Fürsprache am Tag des Jüngsten Gerichts zusichern. Aus diesem Grund galt ein Grab innerhalb der Kirche als bevorzugter Bestattungsplatz. Dies war aber nur Menschen mit hohem sozialen Status sowie hohen kirchlichen Ämtern gestattet.17

 

3. Begräbnisarten

In Dörfern und ländlichen Regionen wurden die Verstorbenen mancherorts in Einzelgräbern beigesetzt, dies dürfte aber eher die Ausnahme gewesen sein. In städtischen Gegenden konnten nur Wohlhabende oder Menschen mit hohem sozialen Status  mit einer Einzelbestattung rechnen. Die Leichen von Ärmeren wurden in Massengräbern gelegt und mit etwas Erde bedeckt. Aufgrund der leichten Überdeckung der Toten konnte es dazu kommen, dass Leichenteile aus der Erde heraus ragten. Deshalb erließ man wiederholt Vorschriften, welche die Tiefe des Grabes regelten. Das Erdreich sollte den Leichnam mindestens eine Elle hoch bedecken. An manchen Friedhöfen mussten Erwachsene und Kinder so tief beerdigt werden wie sie groß waren. War der Graben voll, wurde ein neuer Graben angelegt und der alte mit der neu ausgehobenen Erde bedeckt.18
Die Grabstellen waren sehr unterschiedlich gestaltet, dokumentiert sind einfache Erdgräber, solche mit Totenbrettern oder Holzsärgen, mit Steinen eingefasste oder gemauerte Gräber. Die Art des Grabbaues hing von der sozialen Stellung des Bestatteten ab. Dies zeigt sich daran, dass aufwendig gestaltete, gemauerte oder mit Steinen umfasste Gräber meist nur in Kirchen zu finden sind, in denen ausschließlich sozial höher gestellte Schichten einen Grabplatz beanspruchen konnten. Archäologisch sehr selten lässt sich die oberirdische Gestaltung der Grabstellen nachweisen, da die mittelalterlichen Friedhofsoberflächen kaum erhalten sind. Bildliche Darstellungen von Friedhöfen zeigen jedoch, dass eine Kennzeichnung der Gräber etwa durch Grabkreuze offenbar nur selten erfolgte.19 Spätmittelalterliche Kirchenbestattungen wurden meist mit Grabplatten abgedeckt, die Inschriften oder Bildnisse der Verstorbenen aufwiesen.20 

Abbildung 3: aufgestellte Grabplatte, Friedhof Kiedrich   Bei der Einzelbestattung konnten sich Wohlhabende mancherorts wohl einen Sarg leisten. Der Großteil der Bevölkerung konnte dies aber nicht. Der Sarg war meist aus einfachen Brettern gezimmert oder aus einem Baumstamm gehauen. Arme und oft auch reiche Verstorbene wurden in einem wiederverwendbaren Sarg, welcher der Gemeinde gehörte, oder auf einem Totenbrett zum Friedhof getragen. Der Leichnam selbst war meist nur in ein Leichentuch eingehüllt und wurde auch nur mit diesem bestattet.21 In Seuchenzeiten wurden fast alle Verstorbenen aus allen sozialen Schichten in Massengräbern außerhalb der Stadt beerdigt. Dies geschah zum einen aus hygienischen Gründen und zum anderen aus der Not heraus, da die innerstädtischen Friedhöfe aufgrund der hohen Sterberate überfüllt waren.22
Abbildung 3: aufgestellte Grabplatte, Friedhof Kiedrich [+]
 
 

 

4. Voraussetzungen für eine Bestattung auf dem Kirchhof

Vom Begräbnis auf christlichen Friedhöfen sollten Ungetaufte ausgeschlossen sein. Im 10. Jahrhundert dürften praktisch alle Erwachsenen getauft gewesen sein.23 Diese Einschränkung richtete sich deshalb in erster Linie gegen Kinder, die gestorben waren, bevor ihre Eltern sie zur Taufe bringen konnten. Mancherorts wurden ungetaufte Kinder außerhalb der Friedhofsmauern beigesetzt, aber in dessen unmittelbarer Nähe. Auf dem Friedhof durften nur diejenigen begraben werden, die während ihres Lebens am katholischen Glauben festgehalten hatten. Mit einem christlichen Begräbnis konnte man nicht rechnen, wenn man z.B. auf dem Sterbebett nicht beichtete oder wenn man aus der  Kirchengemeinde ausgestoßen wurde. Ausgeschlossen waren auch Selbstmörder und Menschen, welche die Todesstrafe erhielten.24 Juden hingegen hatten ihre eigenen Friedhöfe.
 

5. Areal Kiedrich

Ein gutes Beispiel für die Gesamtanlage eines mittelalterlichen Friedhofsareals ist der Kirchhof von Kiedrich. Das 937-954 erstmal erwähnte Kiedrich dürfte um diese Zeit schon seine erste Kirche besessen haben,25 welche heute aber nicht mehr erhalten ist. Es ist anzunehmen, dass um diese Kirche schon der Friedhof lag. Dieser blieb bis zur Verlegung an den Ortsrand 1842 in Gebrauch.26  Die heutige  Katholische- Pfarrkirche St. Dionysius und Valentinus wurde um 1390 fertiggestellt.27 Seit dem Mittelalter war Kiedrich eine bedeutende Wallfahrtsstätte zum Nothelfer gegen Epilepsie, St. Valentinus.28 Was einen großen Andrang von Pilgern zur Folge hatte, und Kiedrich deshalb einen großen repräsentativen Status hatte.

Man verstärkte in Kiedrich zum Schutz vor Gefahren die Friedhofsmauer. Das Areal enthielt neben der Kirche die Michaelskapelle mit Karner, sowie weitere Einrichtungen wie das Rathaus, Schule und das Pfarrhaus, welche sich innerhalb der Friedhofsmauer befanden. Das nahegelegene Kloster Eberbach förderte um 1350 die Kiedricher Wahlfahrt durch Schenkung von Reliquien. Eine Besonderheit ist eine Kopfreliquie des hl.Valentin.29
Die Totenkapelle von Kiedrich  ist das wohl am besten erhaltene, sowie architektonisch reichste und künstlerisch edelste Beispiel seiner Art am Rhein.30 Mit dem Bau der Kapelle wurde um 1334 begonnen, 1344 wurde sie fertiggestellt und 1345 geweiht.31 Sie wurde wohl als Heiltumskapelle mit Außenkanzel zur Präsentation der Valentinsreliquien konzipiert.32 Die Kiedricher Totenkapelle ist ein Karner, eine meist zweigeschossige Friedhofskarpelle, in der sich das Beinhaus im Keller befindet. Im Obergeschoss befindet sich die eigentliche Kapelle. Das älteste erhaltene Zeugnis einer Erdbestattung im Kirchhof war eine 1957 verschwundene Grabplatte des 1440 verstorbenen Pfarrers Hufnagel. Bestattungen, welche innerhalb der Kirche stattfanden, lassen sich auf frühestens 10.September 1352 datieren. An diesem Tag verstarb der Ritter Gerhard von Scharfenstein, dessen Grabplatte sich heute noch in der Kirche befindet.33 So ist das Kiedricher Areal ein hervorragendes Beispiel für einen mittelalterlichen Kirchhof, der bis in die heutige Zeit erhalten geblieben ist.

 

Literatur- und Quellenverzeichnis

Cremer, Folkhard (2008): Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler / Hessen. [Neubearb.]. München [u.a.]: Dt. Kunstverl. (Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler, [9],2).
Ohler, Norbert (1990): Sterben und Tod im Mittelalter. München: Artemis.
Schmitz-Esser, Romedio (2014): Der Leichnam im Mittelalter. Einbalsamierung, Verbrennung und die kulturelle Konstruktion des toten Körpers. Ostfildern: Thorbecke (Mittelalter-Forschungen, 48).
Scholkmann, Barbara (2009): Das Mittelalter im Fokus der Archäologie. Stuttgart: Theiss
Söder, Dagmar (2014): Rheingau-Taunus-Kreis. [Stuttgart]: Theiss (Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland : Kulturdenkmäler in Hessen, [21],1,1).
Staab, Josef (1995): "…ein fast an Griechisches anklingender Tempelbezirk…". Der Kiedricher Kirchhof in Geschichte und Gegenwart. In: Rheingau Forum 1995 (4), S. 5–25.
 


Anmerkungen und Abbildungsverzeichnis

1 BARBARA SCHOLKMANN, Das Mittelalter im Fokus der Archäologie, Stuttgart, 2009, 116
2 NORBERT OHLER, Sterben und Tod im Mittelalter, München, 1990, 144
3 OHLER (Fn. 2), 144 f.
4 OHLER (Fn. 2), 149
5 OHLER (Fn. 2), 145
6 OHLER (Fn. 2), 146
7 OHLER (Fn. 2), 145
8 OHLER (Fn. 2), 145,146
9 SCHOLKMANN (Fn. 1), 118
10 OHLER (Fn. 2), 136,154
11 OHLER (Fn. 2), 149
12 OHLER (Fn. 2), 154 f.
13 ROMEDIO SCHMITZ-ESSER, Der Leichnam im Mittelalter, Einbalsamierung, Verbrennung und die kulturelle Konstruktion des toten Körpers, Ostfildern, 2014, 37,38
14 OHLER (Fn. 2), 149
15 OHLER (Fn. 2), 154
16 OHLER (Fn. 2), 154
17 SCHOLKMANN (Fn. 1), 118
18 OHLER (Fn. 2), 148,149
19 SCHOLKMANN (Fn. 1), 118
20 SCHOLKMANN (Fn. 1), 118
21 OHLER (Fn. 2), 150
22 OHLER (Fn. 2), 149
23 OHLER (Fn. 2), 146
24 OHLER (Fn. 2), 146, 147
25 JOSEF STAAB, "…ein fast an Griechisches anklingender Tempelbezirk…", Der Kiedricher Kirchhof in Geschichte und Gegenwart, Rheingau Forum 4/1995, 5, 5 ff.
26 STAAB, 8
27 FOLKHARD CREMER, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler / Hessen, München [u.a.], 2008, 503
28 DAGMAR SÖDER, Rheingau-Taunus-Kreis, [Stuttgart], 2014, 566,567
29 SÖDER (Fn. 28), 549
30 CREMER (Fn. 27), 507
31 SÖDER (Fn. 28), 549
32 CREMER (Fn. 27), 507
33 STAAB (Fn. 25), 7

 

Abbildung 1: Friedhofsmauer in Kiedrich
Abbildung 2: Michaelskapelle im Kirchhof von Kiedrich
Abbildung 3: Grabplatte im Kirchhof von Kiedrich
Alle Bilder sind von dem Verfasser persönlich an den angegebenen Orten erstellt.

 

Zitiervorschlag:
Zoske, Lars (2017): „Friedhöfe“, in: http://www.urbs-mediaevalis.de/pages/studienportal/gebaeudetypologie/sakralbauten/friedhoefe.php

Autorengruppe: Studentin / Studentletzte Aktualisierung dieser Seite: 26. Oktober 2017
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