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7 Baubeschreibung
7.1.2 Langhaus-Südseite
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Abb. 33: Walpurgiskirche, Front des südlichen Seitenschiffes [+] |
Zweibahnige, spitzbogige Maßwerkfenster nehmen etwa ein Drittel der Wandbreite jedes Joches ein. Die Fenster in den beiden äußeren Jochen erstrecken sich vom Kaffgesims bis zur Traufhöhe. Das westliche Fenster ist jedoch in der Mitte vermauert, dahinter befindet sich die Empore. Der untere Teil des Fensters hat einen Spitzbogen erhalten, so dass zwei übereinanderliegende Fenster entstanden sind. Das obere Fenster hat die gleiche Höhe wie die beiden über den Portalen liegenden Fenster in den mittleren Jochen.
Die spitzbogigen Fenster weisen ein schräges Gewände mit tiefer Hohlkehle zwischen abgefasten Kanten auf (Abb. 34 und 35). Sowohl das Gewände, das in einem Winkel von etwa 35 Grad in die Mauer einschneidet, als auch die Schrägen der Sohlbänke verkleinern die Fensterfläche erheblich.93
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Abb. 34: Walpurgiskirche, Fenster des Südseitenschiffes, Zeichnung von Mengel [+] | Abb. 35: Walpurgiskirche, Fenster des Südseitenschiffes [+] |
Die Türöffnungen im zweiten und dritten Joch sind als einfache Spitzbogen in die Mauer eingeschnitten. Das Gewände der Türen ist zweifach gekehlt, die Gewändeformen der Fenster scheinen hier verdoppelt. Ein waagrechtes Gesims teilt das Bogenfeld von der Tür (Abb. 36).
Sowohl an der westlichen als auch an der östlichen Schmalseite des südlichen Seitenschiffes befinden sich überdachte Treppen. Die westliche Treppe ermöglicht den Zugang zum Inneren des Turmes (Abb. 37), sie mündet in der südöstlichen Ecke des Turmes in eine Wendeltreppe in Mauerstärke. Ausweislich der Jahreszahl über dem Eingang in den Turm wurde dieser Zugang im Jahr 1558 geschaffen (Abb. 38). Auf dem gleichen Werkstein wie die ersten zwei Ziffern der Jahreszahl befindet sich ein wohl zeitgenössisches Graffito.94 Unter der Treppe ist eine rundbogige, mit Holztüren verschlossene Nische. In den Schlussstein des Bogens ist eine verwitterte Jahreszahl eingemeißelt, die ebenfalls als 1558 zu entziffern ist (Abb. 39). Rechts und links des Schlusssteins fallen zwei Reliefs ins Auge. Rechts erkennt man eine Büste, die Person trägt eine spitze Mütze mit Bommel, darunter schauen Eselsohren hervor. Links davon, sehr gut erhalten, eine wohl behandschuhte Hand, die einen kunstvoll geknüpften doppelten Knoten zusammenzieht. Plausibel erscheint die Erklärung Mössingers, dass es sich hier um einen Kopf mit Schandmaske handelt sowie um eine Darstellung der „Schlinge, die sich zusammenzieht“.95 Das Dach der Treppe schneidet eine zugemauerte Tür, die wohl den Zugang zur Empore ermöglichte. |
Abb. 36: Walpurgiskirche, Portal des Südseitenschiffes, Zeichnung von Mengel [+] Abb. 37: Walpurgiskirche, Treppe an der Westseite des Südseitenschiffes [+] |
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Abb. 38: Walpurgiskirche, Jahreszahl und Graffito über dem Eingang in den Turm [+] | Abb. 39: Walpurgiskirche, Inschrift über der Nische unter der südwestlichen Treppe [+] |
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Abb. 40: Walpurgiskirche, Treppe an der Ostseite des Südseitenschiffes [+] |
Literatur- und Quellenverzeichnis
Gilsa/Leusler 1664. Gilsa, Moritz von/Leusler, Heinrich: Chorographia. Ausführliche und gründliche Beschreibung der Stadt und Bezirks Alßfeldt im Ober-Fürstentum Hessen gelegen, 1664, in: Mitteilungen des Geschichts- und Altertumsvereins der Stadt Alsfeld, 5, 1918-1925, Nr. 14-21, S. 82-162
Schaper 2001. Schaper, Eckehardt: Bericht zu den Voruntersuchungen im Äußeren der Walpurgiskirche in Alsfeld, durchgeführt 2001 (unveröffentlicht, im Landesamt für Denkmalpflege Hessen, Außenstelle Marburg, Archiv der Abteilung
Baudenkmalpflege)
Mössinger 1942. Mössinger, Friedrich: Ein altes Rechtsmal in Alsfeld, in: Volk und Scholle, 20, 1942, S. 60-61
Müller 2001. Müller, Matthias: Eine mittelalterliche Form der „corporate identity“. Die Rezeption der Marburger Elisabethkirche in den mittel- und nordhessischen Kirchen als Ausdruck landesherrlicher Identität und territorialer Integration, in: Nordhessen im Mittelalter, hrsg. von Ingrid Baumgärtner, Marburg 2001, S. 93-114
Zietz 2002. Zietz, Peer: Stadt Alsfeld, Stuttgart 2002 (Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland : Kulturdenkmäler in Hessen : Vogelsbergkreis, Bd. 1)
Anmerkungen und Abbildungsverzeichnis
94 Zu entziffern sind die Worte „do jammer“, das letzte Wort könnte „sere“ heißen, gefolgt von der Ziffer 4. Für den Hinweis danke ich den Herren Dr. Oberweis und Dr. Fuchs, Akademie der Wissenschaften, Mainz.
95 Mössinger 1942, S. 61. Auch Müller weist darauf hin, dass die Außen- oder Innenbereiche zahlreicher Kirchen für Rechtshandlungen genutzt wurden. (Müller 2001, S. 96, Anm. 7) Nach Gilsa ist die verschlossene Nische „ein enges Kerkerlein […] daß man diejenige, so etwa unter der Predigt Frevel und Mutwillen getrieben oder sonsten wider die Kirchenordnungen gehandelt, darinnen hat zu verwahren pflegen.“ (Gilsa/Leusler 1664, S. 144-145)
Zitiervorschlag:
Schmelz, Annette (2008): „Walpurgiskirche Alsfeld“, in:
www.urbs-mediaevalis.de/pages/staedtetopographie/bull-staedte-a/alsfeld/kirchplatz-1.php
![]() Autorin(nen) oder Autor(en): Schmelz, Annette PDF |