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8 Bauanalyse, stilistische Einordnung und Datierung

8.4.1.3 Konsolfiguren

 
An den Strebepfeilern des Chorpolygons befinden sich vier Konsolbüsten mit großen Blattkronen. Dargestellt sind auf der Südhälfte des Polygons zwei Frauen wohl unterschiedlichen Lebensalters, auf der nördlichen Seite zwei Männer (Abb. 235-238).
 
 
Abb. 235: Walpurgiskirche, Chorpolygon, Konsolbüste am Strebepfeiler [+]   Abb. 236: Walpurgiskirche, Chorpolygon, Konsolbüste am Strebepfeiler [+]
     
 
Abb. 237: Walpurgiskirche, Chorpolygon, Konsolbüste am Strebepfeiler [+]   Abb. 238: Walpurgiskirche, Chorpolygon, Konsolbüste am Strebepfeiler [+]

 

Stellvertretend soll die Büste der jungen Frau genauer betrachtet werden. Der zierliche Oberkörper ragt weit aus der Wand. Ihre nackten, glatten Schultern geben neben den Blattkronen einen Hinweis auf die Bauskulptur der Parler. Das Haar ist im Nacken zusammengehalten und lässt Gesicht und Hals weitgehend frei. Auf dem Kopf trägt die Alsfelder Büste einen Reif aus Zweigen. Daraus entspringen große, am Rand stark eingebuchtete Blätter, die sich leicht wellenförmig bis zum oberen Rand des kelchförmigen Konsolenkörpers bewegen.

Die Alsfelder Konsole erinnert an die heute im Kölner Schnütgenmuseum aufbewahrte weibliche Konsolbüste mit dem Parlerzeichen (Abb. 239). Sie wird um 1390 datiert und Heinrich Parler zugeschrieben. Legner plädiert überzeugend für eine Herkunft aus dem Stift Sankt Maria Gradus nahe des Kölner Domes.278 Während Kleidung, Schultern, Haartracht und auch der Kranz aus Zweigen beider Konsolbüsten durchaus vergleichbar sind, sind die Kölner Blattformen viel freier gearbeitet als die statischen Alsfelder Blätter. Die Blätter sind tief eingeschnitten, die freien Blattspitzen züngeln wie Flammen in unterschiedliche Richtungen. Sie beulen sich stark, die Blattenden fallen über. Legner hat das Laubwerk als Beifuß identifiziert.279 Die Alsfelder Blattform findet ihr Vorbild eher in einer mit Eichenblättern geschmückten Freipfeilerkonsole der Südportalhalle am Prager Veitsdom, die aus der Zeit um 1367 stammt (Abb. 240),280 auch wenn die Prager Blätter im Gegensatz zu den Alsfelder Blättern überfallende Blattspitzen haben.
 
 
Abb. 239: Köln, Schnütgenmuseum, Konsolbüste mit dem Parlerzeichen [+]   Abb. 240: Prag, Veitsdom, Südportalhalle, Blattkonsole [+]

 

Auch an den Freipfeilern des Ulmer Münsters befinden sich Konsolfiguren, die aus dem Umfeld der Parler stammen.281 Zum Vergleich sei die weibliche Figur am fünften Freipfeiler der Nordseite gewählt (Abb. 241). Natürlich ist die Alsfelder Konsolfigur in der Ausführung nicht mit der prachtvollen Ulmer Büste zu vergleichen, doch zeigen sich Gemeinsamkeiten im Bereich der Schultern, der in den Nacken gestrichenen Haare und auch der großen Blattkrone.
Die Statuen, die in Alsfeld wohl einmal auf den Konsolen standen, sind verloren, die hexagonalen Baldachine haben sich jedoch erhalten (Abb. 242 und 243). Sie sind mit fein ausgearbeiteten architektonischen Motiven verziert. Die eingetieften Seitenflächen sind mit krabbenbesetzten Wimpergen geschmückt, die in einer Kreuzblume enden. Von unten gesehen zeigen sich in der Mitte und an den Kanten Reste abgewitterter Schmuckformen. Der Aufbau der Alsfelder Baldachine erinnert an die baldachinförmige Parlerkonsole im Langhaus des Ulmer Münsters (Abb. 244). Natürlich eignet der Ulmer Konsole eine unvergleichliche Raffinesse, die schon damit beginnt, dass in Umkehrung der Formen ein Baldachin zur Konsole erklärt wird. Nicht die Seitenflächen sind in Ulm durch Wimperge durchbrochen, sondern die Kanten. In Alsfeld versucht der Künstler zumindest, einen Eindruck grazilerer Formen zu erwecken. Er lässt den Betrachter frontal nicht auf eine Fläche, sondern auf die Kante des Baldachins blicken, indem er die Baldachine nicht mit einer Seitenfläche, sondern mit einer Spitze an die Wand anschließt. Die Ulmer Baldachinkonsole schließt nach unten in kleinen Masken und floralen Formen, vielleicht zeigten die Alsfelder Baldachine einen ähnlichen Abschluss.
 
 
Abb. 241: Ulm, Münster, Langhaus, Konsolfigur [+]   Abb. 242: Walpurgiskirche, Chorpolygon, Baldachin [+]
     
 
Abb. 243: Walpurgiskirche, Chorpolygon, Baldachin [+]   Abb. 244: Ulm, Münster, Langhaus, baldachinförmige Konsole [+]

 

Literatur- und Quellenverzeichnis

Behling 1964. Behling, Lottlisa: Die Pflanzenwelt der mittelalterlichen Kathedralen, Köln [u.a.] 1964

Legner 1978. Legner, Anton: Konsolbüste einer jungen Frau mit dem Parlerzeichen, in: Die Parler und der schöne Stil 1350-1400. Europäische Kunst unter den Luxemburgern, hrsg. von Anton Legner, Kat. Ausst. Köln 1978, 3 Bde., Köln 1978, Bd. 1, S. 186-187


Anmerkungen und Abbildungsverzeichnis

278 Legner 1978, S. 187
279 Legner 1978, S. 187
280 Behling 1964, S.134
281 Für diesen Hinweis danke ich Herrn Prof. Dethard von Winterfeld.
 
Abb. 235-238, 242, 243: Schmelz, Annette 2008
Abb. 239, 241, 244: Bildindex Marburg
Abb. 240: Behling 1964

 

Zitiervorschlag:
Schmelz, Annette (2008): „Walpurgiskirche Alsfeld“, in:  www.urbs-mediaevalis.de/pages/staedtetopographie/bull-staedte-a/alsfeld/kirchplatz-1.php

 

Autorengruppe: Studentin / Studentletzte Aktualisierung dieser Seite: 07. Juni 2019
Autorin(nen) oder Autor(en)
: Schmelz, Annette PDF

 

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