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8 Bauanalyse, stilistische Einordnung und Datierung

8.1.4 Exkurs: Basilika versus Hallenkirche in Marburg, Köln und Alsfeld?

 
Wilhelm-Kästner vertritt die These, die Marburger Elisabethkirche sei ursprünglich als Basilika geplant gewesen, die Alsfelder Walpurgiskirche und die Totenkirche in Treysa spiegelten als „basilikale Filiationen“ den ursprünglichen Bauplan wider.216
Als Argument für die Abhängigkeit der Walpurgiskirche verweist Wilhelm-Kästner auf die „annähernd parallel“ verlaufende Bauzeit.217 Die dendrochronologischen Untersuchungen des Dachgestühls der Elisabethkirche haben jedoch ergeben, dass bereits 1241-1243 das Querhaus vollständig überdacht und der Anschluss des Langhauses mit drei gleich hohen Schiffen vorgegeben war.218 Das Langhaus der frühgotischen Alsfelder Basilika dagegen wurde erst im letzten Drittel des 13. Jahrhunderts begonnen, so dass davon ausgegangen werden kann, dass man sich in Alsfeld nicht nach einem seit Jahrzehnten überholten Plan gerichtet hat.

Wilhelm-Kästners stärkstes Argument sind die kantonierten Pfeiler der Walpurgiskirche, in denen er eine direkte Übernahme des Marburger Rundpfeilers sieht.219 Es konnte jedoch gezeigt werden, dass sich die frühgotische Alsfelder Basilika in wesentlichen Teilen der Kölner Minoritenkirche verdankt. Demnach dürfte „der kantonierte Rundpfeiler jedenfalls […] nicht per se als Zitat der Elisabethkirche angesehen werden.“220

Beim Bau der Kölner Minoritenkirche dagegen scheint ein Planwechsel sehr wahrscheinlich.

Nach den Zerstörungen des 2. Weltkrieges zeigten sich an den Chorpfeilern in Richtung der Seitenschiffe Rippendienste, die bis in Mittelschiffshöhe aufragten (Abb. 176). Verbeek schloss daraus, dass die Kölner Minoritenkirche ursprünglich als Halle geplant gewesen sei (Abb. 177).221 Der Plan wurde jedoch mit Baubeginn des Langhauses um 1260 aufgegeben. Als frühes Musterbeispiel für eine Hallenkirche mit breitem Mittelschiff und schmalen Seitenschiffen käme die Marburger Elisabethkirche in Betracht.222 Dies würde dann aber bedeuten, dass die Alsfelder kantonierten Pfeiler doch als Zitat der Marburger Elisabethkirche angesehen werden könnten, wenn auch über den Umweg der Kölner Minoritenkirche.
Angesichts des auffällig großen Durchmessers der Alsfelder Rundpfeiler, der sonst nur bei Hallenkirchen anzutreffen ist, bleibt die Frage, ob die frühgotische Alsfelder Kirche als Halle geplant war. Allerdings kann weder aus dem Grundriss noch aus der Dimension der Pfeiler allein auf die Bauform einer Basilika oder einer Hallenkirche geschlossen werden, wie das Beispiel der Marburger Elisabethkirche zeigt. Die Überdimensionierung der Rundpfeiler ist ein in der ländlichen Architektur häufig zu beobachtendes Phänomen, insbesondere in Bauten, die stilistisch noch der Romanik verhaftet sind.223
 
 
Abb. 176: Köln, Minoritenkirche, Befund über den Seitenschiffsdächern,
Zeichnung von Verbeek [+]
  Abb. 177: Köln, Minoritenkirche, Rekonstruktion der Hallenkirche von Verbeek [+]

 

Wie bereits beschrieben, folgt die frühgotische Walpurgiskirche einem Aufriss, der sich in der Kölner Minoritenkirche erst im dritten Joch zeigt. Für die Minoritenkirche war zu diesem Zeitpunkt der Bautypus der Basilika festgelegt, und es ist davon auszugehen, dass die frühgotische Alsfelder Kirche von Anfang an als Basilika geplant war.
 
 

Literatur- und Quellenverzeichnis

Auer 1983. Auer, Reinhard L.: Landesherrliche Architektur. Die Rezeption der Marburger Elisabethkirche in den hessischen Pfarrkirchen, in: Die Elisabethkirche – Architektur in der Geschichte, Marburg 1983, S. 103-123

Michler 1984. Michler, Jürgen: Die Elisabethkirche zu Marburg in ihrer ursprünglichen Farbigkeit, Marburg 1984 (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens, Bd. 19)

Schenkluhn 1983. Schenkluhn, Wolfgang: Die Auswirkungen der Marburger Elisabethkirche auf die Ordensarchitektur in Deutschland, in: Die Elisabethkirche – Architektur in der Geschichte, Marburg 1983, S. 81-101

Verbeek 1950. Verbeek, Albert: Zur Baugeschichte der Kölner Minoritenkirche, in: Untersuchungen zur frühen Kölner Stadt-, Kunst und Kirchengeschichte, hrsg. von Walter Zimmermann, Essen 1950, S. 141-163

Wilhelm-Kästner 1924. Wilhelm-Kästner, Kurt/Hamann, Richard: Die Elisabethkirche zu Marburg und ihre künstlerische Nachfolge, 2 Bde., Marburg 1924-1929, Bd. 1, 1924


Anmerkungen und Abbildungsverzeichnis

216 Wilhelm-Kästner 1924, S. 50-51, 55-57
217 Wilhelm-Kästner 1924, S. 55
218 Michler 1984, S. 34
219 Wilhelm-Kästner 1924, S. 56
220 Auer 1983, S. 121, Anm. 3
221 Verbeek 1950, S. 141-163. Schenkluhn versucht Verbeek zu widerlegen, er sieht die Choreckpfeiler als Vierungspfeiler eines geplanten Querhauses (Schenkluhn 1983, S. 82-84). Dieser Hinweis ist jedoch mit Hinweis auf die Baupraxis der Minoriten abzulehnen, die „wenigstens nördlich der Alpen gerade im Punkte der Querschifflosigkeit kaum Ausnahmen machten.“ (Verbeek 1950, S. 147)
222 Verbeek 1950, S. 148
223 Für diesen Hinweis danke ich Herrn Prof. Dethard von Winterfeld.
 
Abb. 176, 177: Verbeek 1950

 

Zitiervorschlag:
Schmelz, Annette (2008): „Walpurgiskirche Alsfeld“, in:  www.urbs-mediaevalis.de/pages/staedtetopographie/bull-staedte-a/alsfeld/kirchplatz-1.php

 

Autorengruppe: Studentin / Studentletzte Aktualisierung dieser Seite: 07. Juni 2019
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